Laut & deutlich „Nein!“ sagen

Frauen mit Beeinträchtigungen behaupten sich

Stadthagen. Nachhaltig sollte ihre Prüfungsarbeit zur Heilerziehungspflegerin in der Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilpädagogik der Paritätischen Lebenshilfe Schaumburg-Weserbergland GmbH (PLSW) wirken – das war das Ziel, das Christiane Blaaß verfolgte, als sie sich dem Ende ihrer Ausbildung näherte. Sie entschied sich, einen Selbstbehauptungskursus für Frauen mit Beeinträchtigungen anzubieten.

„Ich habe es geschafft, Tine! Ich habe es geschafft!“ - Das ist einer der ganz großen Momente für Christiane Blaaß gewesen. Einer, der ihr deutlich gemacht hat, was erreicht werden kann.

Eine der Teilnehmerinnen aus ihren Kursen kam mit diesem Ruf auf den Lippen auf sie zugelaufen. Sie hatte es geschafft, ein lautes und deutliches „Nein!“ von sich zu geben. Nicht mehr einfach weglaufen, nicht in sich hineinkriechen, nicht aus der Haut fahren, sondern mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein sagen, dass das so nicht in Ordnung ist – dafür möchte die Heilerziehungspflegerin ihren Kursteilnehmerinnen das nötige Selbstbewusstsein geben.


„Ich habe es geschafft! Ich habe ‚Nein!‘ gesagt!“

Angefangen hat alles mit den Überlegungen von Christiane Blaaß zu der Übungsstunde, die als Prüfungsarbeit am Ende der Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin steht. Ein Förderziel in der Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen soll dadurch erreicht werden.

Kleine Schritte sind notwendig, um in diesem Beruf Menschen zu fördern, ihnen auf dem Weg zu mehr Selbständigkeit und Selbstverantwortung Unterstützung anzubieten. Solche Übungsstunden sind immer in Anlehnung an die derzeitigen Förder- beziehungsweise Entwicklungsziele konzipiert, also als Alltagsassistenz in lebensnahen Bereichen wie etwa der Nahrungszubereitung. So leicht wollte Christiane Blaaß es sich aber nicht machen, auch wenn der Erfolg der Übungsstunde bei solchen Inhalten nahezu vorprogrammiert ist. Ihr lag am Herzen, dass diejenigen, die sie durch die Stunde begleitet, davon auch in ihrem weiteren Leben profitieren können.

Die Idee kam ihr durch eine Frau in ihrer Gruppe, der es sehr schwerfällt, ihre Bedürfnisse anderen mitzuteilen. „Sie ist immer gleich an die Decke gegangen und konnte nicht sagen, was sie will oder nicht“, sagt Christiane Blaaß. Selbstsicherheit, Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen und angemessene Reaktionen, die dem Gegenüber die eigene Position deutlich machen – das war es, was sie Frauen vermitteln wollte. Frauen mit Beeinträchtigungen, hatte sie festgestellt, fällt es noch schwerer als Männern mit Beeinträchtigungen das alles auszustrahlen und auch zu artikulieren.


Das Echo unter der Brücke nutzen

Bei der einen Übungsstunde zum Ende der Ausbildung ist es nicht geblieben. Christiane Blaaß hat vielmehr aus ihrem Konzept einen Kursus entwickelt. Eine der Übungen, die sie dort anbietet, führt die Frauen unter eine Kanalbrücke. Das Echo dort nutzt sie, damit die Frauen ihre eigene Stimme wahrnehmen und hören. So laut sie können – und so laut sie wollen – sollen sie „Nein!“ rufen. Das, sagt sie, überrascht jede der Frauen. „Logisch, dass mich keiner hört. Wenn ich so leise rufe“, ist keine seltene Reaktion. Deutlich vor Augen geführt zu bekommen, wie sie selbst klingen, das hilft, auf dem Weg zu mehr Selbstbehauptung. Andere Übungen zielen auf Vertrauen ab. Wie mit dem Parcours, über den zwei Frauen gemeinsam gehen sollen – eine von ihnen mit verbundenen Augen und darauf angewiesen, sich führen zu lassen. Gemeinsam die vermeintlichen inneren Grenzen betrachten und das so anschaulich wie möglich, ist bei allen Übungen das Ziel. 

Nach der Übungsstunde und erfolgreich abgelegter Prüfung arbeitete Christiane Blaaß in einem der PLSW-Wohnhäuser in Stadthagen – und machte mit den Selbstbehauptungs-Kursen weiter, denn ihr neuer Ansatz hatte Aufmerksamkeit im Unternehmen erregt und „Aktion Mensch“ wollte ihn fördern.

Mittlerweile hat sie eine Kollegin ausgebildet, die ebenfalls solche Kurse anbietet. In ihrem aktuellen Kursus ist wiederum eine Kollegin dabei, deren Ziel es ist, Trainerin zu werden. Nach und nach, das ist der Plan, kann so vielen Frauen mit Beeinträchtigung dieses notwendige Selbstvertrauen vermittelt werden, die Fähigkeit „Nein!“ zu sagen.

Um solch ein Projekt aus der Taufe zu heben, es von seinen Anfängen zu begleiten, zielstrebig dabei zu bleiben und es kleinteilig und auch im großen Ganzen zu begleiten, gehört eine gute Portion Leidenschaft – die Christiane Blaaß mitbringt.

Die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung kennt sie, die 42-Jährige, noch gar nicht so lange. Erst 2011 kam sie als gelernte Altenpflegerin zur PLSW. „Wow“, dachte sie sich nach den ersten Arbeitswochen, „das ist das, was ich machen möchte. Jeden Tag freuen sich die Menschen, wenn ich zur Arbeit komme.“ So entstand ihr Wunsch, sich in diesem Beruf, in dieser Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen, ausbilden zu lassen. „Das war die beste Schulzeit meines Lebens“, sagt sie rückblickend. Das Feedback, das sie täglich bekommt, gibt sie gerne zurück. Und dass es sich lohnt, auch neue Wege zu gehen, das erlebt sie ebenso immer wieder.


Das Interview mit Christiane Blaaß haben Laura Michel und Kim Brenning geführt. Beide besuchen die Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilpädagogik der PLSW, um Heilpädagoginnen zu werden. Das Interview ist Teil ihres Projektes „Berichte aus dem Leben“, das dazu dient, den Schülern Lebenswirklichkeiten von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen näher zu bringen.

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