Wohngruppenalltag
So selbständig wie möglich
Ein eigenes Zimmer für jeden, ein Bad, das sich jeweils zwei Bewohner teilen, eine Terrasse für Sommertage, Vorrats- und Waschräume im Keller und ein großzügiger Gemeinschaftsbereich – ungefähr so lässt sich der Lebensmittelpunkt der acht Menschen umschreiben, die in der Wohngruppe 1 am Ostring 8 in Stadthagen leben.
Sechs dieser Bewohner+ arbeiten an Werktagen in der benachbarten Werkstatt, zwei sind bereits in Rente. Gemeinsame Zeit verbringen sie in erster Linie abends und an den Wochenenden, dann auch gerne beim Kochen des Mittagessens. Auf Hilfe und Unterstützung sind sie in ihrem Alltag alle angewiesen – und die bekommen sie von den Mitarbeitern der PLSW.
Fünf sitzen an zwei runden Tischen und bereiten das Mittagessen zu. Petra Fischer schnippelt Paprika, Markus Horn rührt die Sour Cream an, Svea Stübing hat einen kleinen Berg Kartoffeln vor sich, die geschält werden müssen und Eunike Hartmann erklärt sich bereit, den Pudding zu portionieren. Gudrun Lübke sitzt daneben und blättert eine Zeitschrift durch. Nur Karsten Biege hält sich abseits auf dem roten Sofa auf. Zum Essen kommt er später aber prompt an den Tisch.
Die Gemeinschaftsarbeit geht ruhig vonstatten – auch deshalb, weil sie von Heilerziehungspflegerin Julia Engwer sanft gelenkt wird. Sie verteilt die Aufgaben, erklärt, führt vor und weiß genau um die jeweiligen Fähigkeiten der Bewohner. Eunike etwa bittet sie, in der Wohngruppe nebenan nachzufragen, ob dort Brathähnchen-Gewürz im Schrank steht. Das würde doch gut zu den Kartoffelspalten passen und sei ohnehin immer lecker. So trottet Eunike los und kommt wenig später mit dem Gewünschten zurück.
Jeder nach seinen Fähigkeiten
Kontakt zu den anderen Wohngruppen im Haus, den gibt es häufig und nicht nur dann, wenn Leihgaben nötig werden. Ein ums andere Mal ist das Surren des Türöffners zu hören, wenn jemand aus der Wohngruppe 2 einfach mal schauen will, was denn in der 1 so los ist. Man kennt sich doch von der gemeinsamen Arbeit in der Werkstatt – oder auch von den Frühstücken, die zusammen eingenommen werden.
„Senioren-Frühstück“ nennt Julia Engwer das – diejenigen aus den Gruppen, die schon in Rente sind, kommen werktags zum Frühstück zusammen, wenn alle anderen schon bei der Arbeit sind. „Das ist eines der Elemente, die auch den Tagen unserer Rentner Struktur geben“, sagt sie.
Den Tagen Struktur geben
Den Bewohnern Struktur und Anregungen geben für Werktage und Wochenenden ist ein wichtiger Bereich in Engwers Arbeit und ist auch das „Mehr“, das solch eine Wohngruppe ausmacht. Ein fest gefügter Ablauf mit vielen Verlässlichkeiten ist der überwiegenden Anzahl der Bewohner wichtig. Ist das fest eingespielt, dann können sie sich umso mehr darauf einstellen, auch andere Dinge zu tun. Markus etwa freut sich riesig darauf, dass er in wenigen Tagen zu seinen Eltern fahren und dann auch seine Freundin treffen wird. Eunike hingegen weiß, dass sie sich auf die ehrenamtliche Betreuerin verlassen kann, von der sie häufig abgeholt wird, um gemeinsam Konzerte zu besuchen oder einfach nur Zeit miteinander zu verbringen. Die Vorfreude, in der sich Markus und Eunike sonnen, teilt Julia Engwer mit ihnen.
Eine feste Struktur für die ganze Gruppe ist es unter anderem, wenn am Wochenende gekocht wird. Die Hilfe, die dazu nötig ist, steuert die Heilerziehungspflegerin bei. Und freut sich immer dann, wenn viele der Bewohner tatkräftig mitmachen mögen. Markus, sagt sie, ziehe sich oft in sein Zimmer zurück, um Musik zu hören. An diesem Tag aber ist er mit Feuer und Flamme dabei, erzählt lebhaft, zeigt auf die Pinnwand an der Wand und erklärt, dass er diese Woche die Pflanzen in der Wohngruppe gießen muss.
Das ist ein weiteres Element, das das Leben in der Wohngruppe ausmacht: Verantwortung übernehmen. Das tun all jene, die es können und wollen. Kleine Pflichten sind zu verteilen und müssen dann auch gewissenhaft erledigt werden. Markus ist mit seinem Wortschwall über seine Aufgaben jedoch Petra ins Wort gefallen und die wird nun langsam ungeduldig. Schließlich gibt es in der Wohngruppe die Verabredung, dass nacheinander geredet wird. Regeln haben und diese auch einhalten – darauf muss Julia Engwer gar nicht drängen. Die Bewohner haben die Regeln verinnerlicht und machen das schon unter sich aus.
Gemeinsam funktioniert der Wohngruppen-Alltag
So setzt sich Petra schließlich gegen Markus durch, der einsieht, dass er nicht genug Geduld bewiesen hat. Also kann nun Petra erzählen von dem, was ihr gut gefällt in ihrem Lebensumfeld. Die vielen Bastelangebote sind das in erster Linie. An den beiden fröhlich-bunten Bildern, die an der Wand des Gemeinschaftsraumes hängen, habe sie mitgemalt – wie fast alle anderen aus der Gruppe auch. Mit den Händen ist Petra geschickt, am Tisch schnippelt kaum eine so emsig wie sie, aber ihre Mobilität ist eingeschränkt. Ein Rollator mit Minnie-Maus-Kissen steht neben ihrem Stuhl. Das schränkt dann auch die Aufgaben ein, die sie übernehmen kann. Andere, wie Svea Stübing, sind auf weniger Hilfe angewiesen. Sie kann auch schon mal einen Spaziergang in die Innenstadt alleine machen, kann ihre Wäsche selbst waschen und hat sich zu etlichen Küchendiensten freiwillig gemeldet.
Für sie gilt jedoch wie für alle anderen auch, dass eine eigene Wohnung jenseits dessen liegt, was für sie möglich ist. Ihren Lebensmittelpunkt hat Svea Stübing im Ostring 8 ebenso gefunden, wie ihre sieben Mitbewohner auch. So bilden sie mehr oder weniger eine große Familie mit allen Rechten und Pflichten, Freuden und Aufgaben, die im gemeinsamen Haushalt dazu gehören. Die Unterstützung, die dazu nötig ist, bieten Julia Engwer und ihre Kollegen ihnen an – soviel wie nötig, sowenig wie möglich.
Als das Essen schließlich auf dem Tisch steht, macht jeder noch einmal mit gewissem Stolz auf seinen eigenen Beitrag dazu aufmerksam. Und freut sich über die allgemeine Anerkennung.
Vielfalt des Wohnens mit Unterstützung
ZKB – diese drei Buchstaben umschreiben in Kleinanzeigen, was angeboten wird: ein Zimmer mit Küche und Bad. Das ist die übliche Anforderung von Menschen hierzulande, wenn sie auf der Suche nach einer neuen Bleibe sind. Wohnung besichtigt, Mietvertrag unterschrieben, eingezogen – im Idealfall läuft es so. Das setzt ein bestimmtes Maß an Selbständigkeit voraus. Wie aber ergeht es Menschen mit Beeinträchtigungen, die neben „Zimmer, Küche, Bad“ beim Wohnen noch weitere Anforderungen haben?
Etliche Antworten auf diese Frage haben wir. Unsere Wohnhäuser, in denen sich jeweils mehrere Wohngruppen befinden, bieten ihren Bewohnern nicht nur einen häuslichen Rahmen, sondern auch die passgenau auf sie zugeschnittene Unterstützung. Dort können sie mit größtmöglicher Selbständigkeit in Gemeinschaften leben und bekommen professionelle Unterstützung in ihrem Alltag.
Ziel ist es, Menschen mit Beeinträchtigung ein Wohnangebot zu machen, in dem sie Privatsphäre und Eigenständigkeit in einer überschaubaren Gemeinschaft erleben können und wo sie individuelle Unterstützung für ihren Lebensalltag erhalten. Individualisierung, Selbst- und Mitbestimmung sind unsere Leitlinien und auch in unserem Leitbild verankert. Wohnen soll die Entwicklung jedes Einzelnen und den Wunsch nach Teilhabe an der Gesellschaft unterstützen.
Menschen in unseren Wohngruppen, die bereits das Rentenalter erreicht haben, können zudem das Angebot unserer Seniorengruppen nutzen, die ihnen eine interne Tagesstruktur geben. Gleichzeitig bieten wir aber auch denjenigen, die in einer eigenen Wohnung leben möchten, ambulante Betreuung an. Und für kurzzeitige Betreuung halten wir Gastzimmer vor.